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 Die Kriegsunterhalter

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BeitragVerfasst am: 14.05.2007, 14:54    Die Kriegsunterhalter Antworten mit ZitatNach oben

14.05.2007 / Thema / Seite 10
Zum Inhalt dieser Ausgabe |
Die Kriegsunterhalter
Über Unterhaltungsprodukte für Leinwand und Bildschirm wird die Militarisierung der Massenkultur vorangetrieben. In der Computerspielindustrie ist das Zusammenwirken von Militär und privatwirtschaftlicher Kreativtechnologie längst institutionalisiert
Von Peter Bürger
Zwischen Virtualität und Wirklichkeit: Im Videospiel »Amerca’s A
Zwischen Virtualität und Wirklichkeit: Im Videospiel »Amerca’s Army« schlüpft der Benutzer in die Rolle eines im Irak stationierten GIs
Foto: U.S. Army
Krieg ist nicht attraktiv. Er erfordert – mehr als alle anderen Produkte – ein äußerst cleveres Marketing. Die Mehrheit der Menschen findet es nämlich überhaupt nicht gut, daß der Zivilisation ausgerechnet zu Zwecken des Massenmordens unendlich viele Ressourcen materieller und geistiger Art entzogen werden. Deshalb müssen vor allem die ökonomische Wurzel des Kriegsapparates und die Interessen der Kriegsprofiteure im Verborgenen bleiben. In der öffentlichen »Kommunikation« erscheint der Krieg als gutes Werk, als saubere Sache und zunehmend auch wieder als ein ewiges Naturgesetz. Die Rolle der Informationsmedien bei diesem Kriegsmarketing ist schon lange Gegenstand der Kritik. Es spricht sich auch immer mehr herum, daß man allein mit dem ethischen Konzept »Friedensjournalismus« das Kommunikationsgeflecht aus Regierungen, Militärs, privaten PR-Agenturen, Massenmedien, Denkfabriken und Nichtregierungsorganisationen nicht aufbrechen kann. Die zentrale Bedeutung der Unterhaltungsindustrie wird vom Friedensstandpunkt aus jedoch vergleichsweise seltener bedacht und erforscht.

Dabei wäre gerade der Militainment-Komplex als regelrechter Rüstungssektor zu identifizieren. An seinem Rand vermischen sich unterhaltsame und informative Formate im Zwittergebilde »Infotainment«. Über Unterhaltungsprodukte für Leinwand, Bildschirm und Computer wird die Militarisierung der Massenkultur vorangetrieben. Die Bildästhetik aus Kino und Computerspiel prägt auch die Begleitoptik der Medienberichterstattung zum Krieg. Militärische Simulationen sind längst zum Teil des Alltags geworden.

Die allgegenwärtigen Phänomene des massenkulturellen Krieges präsentieren sich allerdings nur selten im Kleid der platten Propaganda. Sie werden besonders von jüngeren Konsumenten schon gar nicht mehr als etwas Besonderes wahrgenommen. Wer sich aus Geschmacksgründen von kommerziellen Spektakeln fernhält, stößt im öffentlichen Raum dennoch auf die aufwendigen Plakatierungskampagnen, die für kriegsfreundliche Kinoblockbuster und neue PC-Spiele werben. Für positivistisch gestimmte Medienwissenschaftler sind die riesigen Unterhaltungssortimente, mit denen sich die »Logik« des Krieges überall Eingang in das Kulturgeschehen verschafft, kein Problem. Sie werden einfach als Ergebnis des sogenannten freien Marktes bzw. als Antwort auf eine bestehende Publikumsnachfrage verstanden.
Pentagon und Filmindustrie
Doch Nachfragestrukturen und Publikumsgeschmack können die Militainment-Flut kaum erklären. Hilfreicher ist ein Blick auf den »Militärisch-Industriell-Medialen Komplex«. Medienmonopole sind zunehmend in einem Konzerngeflecht angesiedelt, in dem Rüstungsproduzenten und andere Kriegsprofiteure den Ton angeben. Prominente Beispiele sind die US-Konzerne General Electric (NBC) und Westinghouse (CBS). Im Mittelpunkt vieler Militainment-Konsumgüter stehen ganz konkrete Neuentwicklungen der Rüstungsindustrie. Im Bereich der Computerspielindustrie ist das Zusammenwirken von Militär und privatwirtschaftlicher Kreativtechnologie längst institutionalisiert. Die Verwertungskreisläufe gehen in beide Richtungen. Vielfach entstehen echte »dual-use«-Produkte. Die Spielekonsumenten finanzieren – nolens volens – technische Innovationen für den modernen Krieg.

In den USA bietet das Pentagon eigene Kabelsenderprogramme, Kinotrailer und kostenlose Computerspiele an. Kinokooperationen von Pentagon, US-Militär und Hollywood haben eine lange Tradition. Sie kamen im Zuge des Vietnamkrieges vorübergehend außer Mode. Seit Ende der 80er Jahre taucht das erprobte zivil-militärische Gespann wieder bei fast allen großen Kriegsfilmproduktionen auf. Mitnichten handelt es sich bei der Militärassistenz um kleine Gefälligkeiten gegenüber der Unterhaltungsindustrie. Das Militär gewährt kostspielige Unterstützungsleistungen, etwa sonst unbezahlbare Dreharbeiten auf Flugzeugträgern oder echtes Personal für den Statistenbedarf. Im Gegenzug erhält das Pentagon eine editorische Kontrolle über die Drehbücher. Was sich als Filmprodukt des »freien Marktes« präsentiert, fügt sich in Wirklichkeit ein in einen regelrechten Kinolehrplan zugunsten von Imagewerbung, militärischen Planungen und Rekrutierung.

Auf diese Weise werden kritische Vietnamfilmtraditionen in ein zeitloses Heldenideal (»We Were Soldiers«, 2001) umgebogen. Der Zweite Weltkrieg, in den 90er Jahren als »der beste aller Kriege« re­inszeniert, wird als Romanze verharmlost oder zum Anlaß für ungebremste Rachepropaganda (»Pearl Harbor«, 2001). Vom Pentagon geförderte Streifen werben mit Vorliebe für »humanitäre Weltpolizeieinsätze«, sei es als »Nazijagd in Bosnien« (»Behind Enemy Lines«), als Hungerhilfe in Somalia (»Black Hawk Down«) oder als Abwehr grausamer islamischer Rebellen irgendwo an den Küsten Afrikas (»Tears of the Sun«, 2003). Schon vor dem 11. September 2001 produzierte Titel wie »Rules of Engagement« oder »Black Hawk Down« zeigen Menschen des arabischen Kulturkreises einfach als feindselige Masse. Im ersten Fall proklamierte das Kino bereits 2000 die Unvermeidbarkeit von Zivil­opfern und die Notwendigkeit, mit Konventionen des Völkerrechts bei Bedarf großzügig umzugehen. Mindestens drei große Katastrophenfilme zwischen 1998 und 2003 sind mit Militärhilfe als Werbetrailer für eine neue Generation von erddurchdringenden Atomwaffen gestaltet (»Armageddon«, »Deep Impact«, »The Core«). Beim Blick auf die Programmplanung konnte man nur staunen, wie Kino- oder Fernsehproduktionen mit schmutzigen Bomben und patriotischen Epen dem »Antiterror-Krieg« ab Ende 2001 vorauseilend zur Seite standen. Auch bei der Kinowelle zu »Nine Eleven«, die in diesem Jahr fortgesetzt werden soll, sind die Pentagon-Filmbüros im Fall von »United 93« beteiligt. Der von ihnen geförderte Luftkriegsfilm »Stealth« (USA 2005) beruhigt mit einem pseudomoralischen Diskurs alle Zuschauer, die hinsichtlich einer neuen Generation von unbemannten Kampfflugzeugen mit autonomen elektronischen »Entscheidungskompetenzen« Unbehagen verspüren.

Der gesamte Kanon darf nicht als eine Reaktion auf den »Elften Neunten« mißverstanden werden. Das antiislamische und antiarabische Kulturkampfparadigma kann in massenkultureller Hinsicht mindestens bis in die 70er Jahre zurückverfolgt werden. Das entsprechende Terrorkino war in den 90er Jahren bereits vollständig ausgebildet. Ebenso wenig ist es hilfreich, die Aufmerksamkeit im Rahmen eines platten Propagandamodells nur auf die vom Militär unterstützten Filmproduktionen zu lenken.
Das Lied vom ewigen Krieg
Kriegsmärchen wie »The Chronicles of Narnia« (USA 2005) vermitteln Kindern die Notwendigkeit einer großen Schlacht zwischen »Gut und Böse«. Kriegstheologien und archaische Heldenmythen sind keineswegs Schnee von gestern. Um eine allzu große Sterilität moderner Kriegsabenteuer zu vermeiden, muß immer wieder auf Anleihen aus dem gesamten Arsenal des Kulturbellizismus zurückgegriffen werden. Zahlreiche Science-fiction-Filme vermitteln Ästhetik und Technologie der »Revolution in Military Affairs« und obendrein ein ausgesprochen gutes Image der Rüstungsindustrie. Im Politthriller ist die Militarisierung der Energiefrage durchaus angekommen, doch sie wird dort als etwas Schicksalhaftes behandelt (»Syriana«). Das aktuellste Produkt des Imperialentertainments durch Historienfilme ist der Titel »300«, in dem spartanische Demokraten mit einem aggressiven Perserreich zusammenstoßen und die Freiheit verteidigen. Wie passend für einen neuen Geostrategie-, Öl- und Gaskrieg gegen Iran, finden selbst unpolitische Rezipienten. Das seit einiger Zeit sehr angesagte Afrikakino sorgt mit »humanitären Katastrophen« für Entrüstung und legt auch da, wo man sich menschenfreundlich gibt, die wirklichen Sünden und Begehrlichkeiten der Industrieländer auf dem Kontinent nicht offen. In »The Last King of Scotland« kommen dabei z. B. deutsche G3-Sturmgewehre zum Einsatz, die echt sind und aus Idi Amins Waffenarsenalen stammen. Das Lied vom ewigen Krieg und von wahrer Männlichkeit singen auch Fantasy- oder Naturfilmproduktionen. Die filmwissenschaftliche Fixierung auf das Kriegsfilmgenre ist im Kontext einer Kritik des kriegssubventionierenden Kinos also nicht tauglich. Einer politischen Analysemethode muß es um den Gesamtzusammenhang von Kultur und Macht gehen. Sie führt zur Frage, in welchem gängigen Filmgenre eigentlich nicht dem Programm »Krieg« zugearbeitet wird.

Die Filmarbeit des Pentagon, die im Rahmen des Militainments mit besonderen Produktionsbedingungen einhergeht, findet in Europa Nachahmung. Das spanische Militär war u. a. beim Balkanfilm »Guerreros« (Spanien 2002) beteiligt. Der vom französischen Militär und Kriegsministerium unterstützte Luftwaffenfilm »Les Chevaliers du Ciel/Sky Fighters« (Frankreich 2005) vermittelt den Europäern, daß islamistische Terroristen längst unerkannt in ihrer Mitte am Werk sind, und bricht überdies eine Lanze für den modernen Luftkrieg. In Großbritannien unterstützen staatliche Akteure z. B. Weltkriegsfilme des großen Bruders jenseits des Atlantiks und sorgen dafür, daß der Königin der nächste »James Bond« mit innovativen Waffen vorgeführt werden kann. Die Bundeswehr scheint sich im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit vorerst auf die Assistenz bei Fernsehproduktionen zu beschränken, wobei auf öffentliche Transparenz kein besonders großer Wert gelegt wird. Der zunächst ganz unverdächtige TV-Zweiteiler »Die Sturmflut« (2005) enthält offensive Werbeanteile zugunsten der Bundeswehr: Der Hamburger Polizeisenator und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt beruft sich 1962 bei der Katastrophe an der Nordseeküste auf den Ausnahmezustand. Er fordert nicht nur deutsche Soldaten an, sondern nimmt unter Umgehung aller Dienstwege direkt Kontakt mit der NATO auf. Die große Entschlossenheit Schmidts erhellt der Drehbuchtext mit folgender Selbstaussage: »Ich bin ja Leutnant aus dem Zweiten Weltkrieg!«

Das militärfreundliche und kriegsförderliche Kulturgeschehen in nächster Nähe müßte dringend einer gründlichen Untersuchung unterzogen werden. Für den Revisionismus im deutschen Kulturgeschäft, den der Historiker Hannes Heer in seinem Buch »Hitler war’s« (2005) dargestellt hat, legen permanent neue Filmtitel Zeugnis ab. Private TV-Produktionen über Bombenangriffe auf Dresden, Flucht und Widerstandsgestalten der Wehrmacht (»Stauffenberg«) verfolgen die Linie einer »neuen deutschen Tragik«. Effektvolle Emotionalisierung, individueller Wahnsinn, Ausblendung der gesellschaftlich-ökonomischen Entstehungsbedingungen für den Faschismus, ehrenwerte Soldaten und deutsche Opferrolle stehen im Mittelpunkt. Den wichtigsten Prototyp dieser Welle hat ohne Zweifel der im Geschäft des Revisionismus bereits erprobte Filmproduzent Bernd Eichinger (»Das Boot«; »Der Untergang« 2003) vorgelegt. Der übergeordnete PR-Zeitplan gibt Anlaß zu größter Sorge: Private Denkfabrikanten machen im Rahmen der EU-Militarisierung auf die Notwendigkeit eines neuen deutschen Patriotismus aufmerksam. Es folgen eine aufwendige Wir-Deutschland-Kampagne und die vorausschauende Massenproduktion nationaler Devotionalien. Bei der cineastischen Nachbereitung des Spaßpatriotismus im Kino dürfen Bundeswehrsoldaten und Flaggen selbstredend nicht fehlen (»Deutschland, ein Sommermärchen«). Dem Werk von PR-Agenturen und willigen Kulturmachern schließt sich dann nahtlos eine verfassungswidrige Militärdoktrin an, in deren Zentrum deutsche – nationale – Wirtschaftsinteressen stehen. Im Rahmen der Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg gab es ähnliche synchrone Zusammenhänge zwischen Politik und Massenkultur. Heute jedoch geht es um eine ganz neue Grenzüberschreitung, in der ökonomisch motivierte Kriegsplanungen mit Sinn für das Nationale kein Tabu mehr darstellen. Anschwellender Rechtsextremismus und vermeintliche Entgleisungen bürgerlicher Politiker flankieren den gesamten Komplex.
Neoliberale Kulturhegemonie
Kein Zurück ins Computerspiel: US-Soldat auf Patrouille in Hit,
Kein Zurück ins Computerspiel: US-Soldat auf Patrouille in Hit, 200 Kilometer westlich von Bagdad (Juli 2005)
Foto: AP
In meinen Büchern »Kino der Angst« (2005) und »Bildermaschine für den Krieg« (2007) zeige ich, daß speziell der Filmsektor des massenkulturellen Krieges keineswegs aus skandalösen, zusammenhangslosen Einzelerscheinungen besteht. Die übergeordnete Kulturmaschine des »Neoliberalismus« produziert das zur aggressiven Wirtschaftsdoktrin passende Welt- und Menschenbild und genehme Geschichtserinnerungen. Sie sorgt für die in der Massenkultur vorherrschenden Gefühlslagen oder Stimmungen wie Paranoia, Irrationalismus, Identitätsauflösung, Vergeblichkeit, Katastrophenstimmung oder Beschwörung des Weltendes. Angst und Ohnmachtgefühle sind noch immer der Boden für eine mit Erlösergestalten operierende Machttechnologie gewesen. Die geistigen und kulturellen Bedingungen, unter denen Akzeptanz für eine bestimmte Weise des globalen Wirtschaftens erzielt wird, ökologische Überlebensfragen wahrgenommen werden und Entscheidungen für eine militärische oder zivile Logik der Weltordnung fallen, sind durchweg massenmedial vermittelt. Daß die Produktion der Massenkultur sich industriell vollzieht und nur in wenigen Händen liegt, hat deshalb zivilisatorische Bedeutung.

Das gesamte Geschehen ist mit der Untersuchung von gezielten Propagandastrategien und ökonomischen Zwängen auf seiten der Kulturschaffenden aber nur sehr bedingt zu erklären. Im Rahmen der Kulturhegemonie, deren weitere Erhellung im »Medien- und Kommunikationszeitalter« zu den vordringlichsten Angelegenheiten zählt, haben viele Menschen durchaus ein Gefühl von »Pluralismus«. Man kann ja schließlich – fast – alles frei äußern und sich seine Lieblingsprogramme selbst auswählen. Die allzu offenkundigen Indoktrinationen im Bushismus sind für den »Neoliberalismus« vermutlich kein erfolgversprechendes Zukunftsmodell. Die Illusion eines vielfältigen und kritischen Kultursektors muß unbedingt aufrechterhalten werden. Sie ist eine Grundbedingung für die reibungslose Mediensozialisation. Die Beherrschten dürfen nur nicht auf die Idee kommen, innerhalb der hegemonial definierten Horizonte des Denkens, der vielen Beliebigkeiten und Kulturströmungen seien die eigentlichen Fragen noch gar nicht gestellt worden.

Zu den größten Erfolgen des neoliberalen Mainstreaming gehört der Umstand, daß die Dogmen der militärischen Weltordnungslogik zeitweilig sogar in Teilen der Friedensbewegung Fuß zu fassen drohten. Dabei spielte die Ausblendung der sozialen Menschenrechte eine Schlüsselrolle. In jeder kommerziellen Videothek und auf den meisten Fernsehkanälen kann man sich davon überzeugen, wie mächtig die Kriegsideologie in unserer Kultur ist. Wer im Internet Erkundigungen über die entsprechenden Angebote einholen möchte, stößt vor allem auf kommerzielle Produktinformationen. In Stadtillustrierten, Computerspielzeitschriften, Kulturmagazinen und sogar in kirchlichen oder gewerkschaftlichen Medien preisen neoliberale Rezensenten die neuesten Militainment-Kreationen an. Banalität, Zynismus und Kritiklosigkeit der meisten Besprechungen sind kaum noch zu unterbieten. Für die Gegenseite hat man das passende Etikett parat: Militainment-Muffel bzw. -Kritiker sind Moralisten. Von wirklicher Kunst haben sie keine Ahnung. Wenn es die weltweit marktführende Unterhaltungsindustrie der Vereinigten Staaten aber allzu zu toll treibt, beruhigt man das Publikum mit dem Versprechen, das »wahre« – liberale – Hollywood werde schon sehr bald wieder zum Zuge kommen. Die nächste »Matrix«-Trilogie kommt bestimmt. Sie bietet die Möglichkeit, Teil einer spannenden Untergrundkultur zu sein und gleichzeitig beim großen Krieg gegen das Böse mitzumachen.
Bürgerliche Mediengewaltdebatte
Fatal wäre es, wenn linke Kultur- und Medienkritik in die Falle der populistischen Gewaltzensoren treten würde. Aus gegebenem Anlaß fordern diese bekanntlich immer wieder vor laufenden Kameras ein selektives Verbot von sogenannten Killerspielen. Sie merken gar nicht mehr, wie absurd ihre Parolen sind angesichts eines globalen Killerspiels, durch das jährlich 30 bis 40 Millionen Menschen im »Imperium der Schande« und des Überflusses allein auf dem Feld der gemachten Nahrungsunterversorgung ermordet werden und über das sich hierzulande kein Politiker aufregt. Die zur populistischen Debatte passende wissenschaftliche Mediengewaltforschung bewegt sich trotz aller Differenziertheiten letztlich auf dem gleichen Feld. Man negiert simple Kausalitäten, sieht aber doch mögliche empirische Hinweise auf einen »leichten bis mittleren Zusammenhang« zwischen Mediengewaltkonsum und Gewalttätigkeit. Besondere »Risikogruppen« werden auf seiten der Mediennutzer ausgemacht und individualpädagogische Gegenstrategien empfohlen. Der ganze Zauber konzentriert sich, ähnlich wie in vielen medienpädagogischen Ansätzen, stets auf die Konsumenten, Eltern, Lehrer und das engste Umfeld. Man spricht zwar von der Bedeutung des immanenten Kontextes von Mediengewaltdarstellungen, kümmert sich aber nicht um eine politische bzw. ideologiekritische Analyse der jeweiligen Drehbuchkonzepte. Meistens ganz ausgeblendet bleibt – neben den gesamtgesellschaftlichen Kulturprozessen und dem Thema »staatliche Gewaltausübung« – die Anbieterseite. Gefragt wird z. B. nicht, warum Gewaltinhalte innerhalb des real existierenden Angebotes einen so großen Raum ausmachen und gegenteilige Botschaften bestenfalls am Rand vertreten sind. Gefragt wird auch nicht, wer eigentlich die Produzenten dieses demokratiefeindlichen Angebotes sind, welche Interessen sie haben und welche Vermarktungsstrategien sie anwenden. Ein erst im letzten Jahr erschienenes Studienhandbuch »Gewalt und Medien« bringt bei alldem noch das Kunststück zuwege, auf 474 Seiten das Thema »Krieg« – abgesehen von sechs Nebenbemerkungen – fast ganz auszuklammern.
Militainment Einhalt gebieten
Kriege sind, wie Bertolt Brecht stets betonte, keine Naturkatastrophen. Auch Militainment ist mitnichten ein Naturereignis. Außerdem widerspricht es dem 1945 in der Charta der Vereinten Nationen dokumentierten Zivilisationskonsens. Der Friede sei im »Geiste der Menschen« zu verankern, heißt es auch in der Gründungsakte der UNESCO. Dieses Postulat ist wohl kaum individualistisch zu deuten. Noch mehr als drei Jahre währt die von den Vereinten Nationen ausgerufene Dekade für eine Kultur der Gewaltfreiheit und des Friedens. Sie muß im medienwissenschaftlichen Diskurs, in Friedensforschung, im Jugendmedienschutz, in der Medienpädagogik und in der Kulturpolitik endlich aufgegriffen werden. Rechtswissenschaftler könnten aufzeigen, daß unterhaltsame Werbung für das Programm Krieg – für Geschichtslügen, Völkerrechtsbrüche, Kriegstechnologie, Foltermethoden oder Feindseligkeit gegenüber anderen Kulturen – mit geltenden internationalen Rechtsbestimmungen nicht vereinbar ist, zumal, wenn staatliche Stellen an entsprechenden Produktionen beteiligt sind.

Produzenten und Produkte, die einer destruktiven Kultur zuarbeiten, werden gewohnheitsmäßig belobigt. Statt dessen müßten sie aber öffentlich denunziert werden. Vieles weist darauf hin, daß Verbotsstrategien kein hilfreiches Mittel wider den massenkulturellen Krieg sind. Alles jedoch spricht dafür, gesetzlich eine äußere Kennzeichnungspflicht für alle Unterhaltungsprodukte vorzuschreiben, bei denen Staat, Militär, Rüstungsindustrie oder andere Kriegsprofiteure mitgewirkt haben. Im Sinne eines demokratischen Verbraucherschutzes wäre eine solche Maßnahme eigentlich als etwas Selbstverständliches zu erwarten. Die sogenannte Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr muß für die Allgemeinheit in allen Belangen transparent sein und darf – auch bei TV-Kooperationen – den von der Verfassung eingegrenzten Informationsauftrag nicht überschreiten. Die restriktivsten Bestimmungen des Jugendmedienschutzes sind auf sie anzuwenden: keine Kriegsverherrlichung, keine Form von Militarismus, kein Militainment und keine Werbung für Kriegsabenteuer. Friedensforschung, Friedensinitiativen und Friedenskulturschaffende sind für ihre Öffentlichkeitsarbeit vom Staat zumindest mit dem gleichen Budget auszustatten wie die Bundeswehr. Eine solidarische und friedensförderliche Ästhetik kann sich allerdings nicht über bloße Antigewalt- und Antikriegsbotschaften entwickeln. Im Mittelpunkt aller politischen Bemühungen hat die Förderung einer lebensfreundlichen Kultur zu stehen.

Peter Bürger ist katholischer Theologe, Publizist und politisch in der Friedensbewegung aktiv. Im letzten Jahr wurde er für seine umfangreiche Studie »Kino der Angst – Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood« mit dem Bertha-von-Suttner-Preis in der Kategorie »Film und Medien« ausgezeichnet. Soeben ist im Heise Zeitschriftenverlag von ihm das Buch »Bildermaschine für den Krieg – Das Kino und die Militarisierung der Weltgesellschaft« erschienen.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2007/05-14/016.php

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